Im Gespräch mit Wolfgang Schmidtlein (95), der als angestellter Architekt bei Wilhelm Riphahn die Entwürfe zur Kölner Oper mitgestaltete
Viele Kulturbauten polarisieren zu ihrer Bauzeit. Oft vergehen Jahrzehnte, bis sie als ihrer Stadt zugehörig, oder gar als Wahrzeichen angenommen werden. Auf dem Weg dorthin nähern sich Stadtgesellschaften oft mit spöttischen, höchst originellen Spitznamen: So bezeichnen die Australier die Sydney Opera gerne als „Fußballspielende Nonnen“ und die Berliner ihre Kongresshalle (Haus der Kulturen der Welt) als „Schwangere Auster“. Das Kölner Opernhaus hieß schon in den 50er Jahren „Grabmal des unbekannten Intendanten“. Der Legende nach hat sich der Architekt Wilhelm Riphahn am ägyptischen Tempel ad-dakka, dessen Profil den Bühnentürmen verblüffend ähnlich sieht, orientiert.
Wie aber war es wirklich? Welche Ideen haben die Architekten Anfang der 50er Jahre bei den Entwürfen zur neuen Kölner Oper tatsächlich geleitet?
Wir befragten Wolfgang Schmidtlein (95), der 1950 als Architekt in Riphans Büro eintrat und bei der Entwurfsplanung dabei war.
Interview mit Wolfgang Schmidtlein
„Ich kann über meinen eigenen Kram nicht reden, seht ihn euch einfach an“ (Wilhelm Riphahn)
Die Arbeit in Riphahns Büro
Sie lebten nach Kriegsende ursprünglich in München. Wie sind Sie dann in die Mannschaft von Wilhelm Riphahn gekommen?
Ich besuchte im Frühjahr 1950 meinen Onkel Gerhard Marcks in Hamburg. Er lehrte damals noch an der Akademie im Lerchenfeld, war aber schon im Begriff nach Köln umzuziehen, wo die Stadt für ihn, auf Veranlassung des damaligen Kulturdezernenten Haubrich, in Müngersdorf ein Haus baute. Architekt: Wilhelm Riphahn. Nur einige Wochen später rief Riphahn dann bei mir in München an: „Wollen Sie bei mir arbeiten?“. Ich sagte spontan zu. Auf meine Frage, wann ich denn anfangen solle antwortete er „Übermorgen!“. Das Gespräch dauerte kaum fünf Minuten. Von Geld war nicht die Rede."
Wie war die Arbeit in Riphahns Büro organisiert?
Riphans Mannschaft bestand damals aus 12, höchstens 18 relativ häufig wechselnden Mitarbeitern. Eine kleine, stabilere Gruppe, zu der ich bald selbst gehörte, arbeitete unter Anleitung von Hans Menne an verschiedenen Entwürfen - ein echtes, intensiv zusammenarbeitendes Team. Unser Büro in der Breitestraße sah aus wie eine Schulklasse, so eng waren die Zeichentische aneinandergereiht.
Inwiefern hat sich Riphahn selbst in die Entwurfsarbeit eingebracht?
Das war bei den jeweiligen Projekten sehr unterschiedlich. Manche trugen ganz eindeutig die Handschrift von Hans Menne, der während des Krieges in der Schweiz studiert, und von dort eine ganz bestimmte Formensprache mitgebracht hatte. Bei anderen skizzierte er mit einem dicken „6 B“-Bleistift eine einfache Grundidee und überließ den Mitarbeitern die weitere Ausarbeitung. Es kam aber auch vor, dass das Entwurfsteam verschiedene Lösungsmöglichkeiten erarbeitete unter denen der Chef dann auswählte. Riphahns Hauptaufgabe war die Akquise neuer Aufträge und der Kontakt zum Bauherrn. Anfang der 50er war die Auftragslage für Architekten noch sehr schwierig, es gab eigentlich nur die Besatzungsmächte als Auftraggeber. Da war viel Einsatz nötig um ein Büro zu finanzieren - auch wenn unsere Bezahlung eher bescheiden war.
Was hat denn ein Architekt damals im Büro Riphahn verdient?
300 DM brutto, das war auch im Nachkriegs-Köln wenig. Eigentlich konnte man sich das ohne entsprechende familiäre Unterstützung gar nicht leisten. Dafür haben wir durch das tolle Teamwork, die unkonventionelle Arbeit mit Menne und die spannenden Projekte in kurzer Zeit extrem viel gelernt. Und Riphahn machte mit uns faszinierende Exkursionen zu anderen Baustellen bedeutender Architekten im ganzen Land. Das war für uns etwas ganz Besonderes, reisen war damals viel schwieriger und teurer als heute.
Wie lief denn die endgültige Autorisierung der Pläne durch den Chef?
Schwierig, er hat oft vor der Unterschrift in den fertigen Plänen geändert, ohne Rücksicht auf Zeit und Kosten. Manchmal waren gravierende Umplanungen unter großem Zeitdruck das Resultat. Wir haben uns häufig gefragt, wie er das am Ende dem Bauherrn beigebracht hat.
Über den Entwurf zum Opernhaus
Auch die Entwürfe zum Opernhaus sind im Entwurfsteam, auf die beschriebene Weise, schrittweise entwickelt worden.
Zu den Werkstatttürmen
Die Anforderungen sahen ein großes Bauvolumen vor, was für die sich im Wiederaufbau befindliche Innenstadt prinzipiell heikel war.
Hat Sie denn tatsächlich bei den Plänen zu den Türmen ein ägyptischer Tempel oder ein anderes sakrales Bauwerk inspiriert?
(lächelt) Das ist eine Legende. Wir haben uns bei der Gestaltung an funktionalen und städtebaulichen Aspekten orientiert. An einem entsprechenden Modell haben wir gesehen, dass senkrechte Türme diesen Teil der Innenstadt mit samt der Nachbarschaft gestalterisch erschlagen würde. Im Raumprogramm haben wir dann gesehen, dass unterschiedliche Raumtiefen verlangt werden. Und so haben wir die Räume nach abnehmendem Raumvolumen sortiert. Das bedeutet, die Raumtiefe nimmt ab, je höher wir bauen, der Turm verjüngt sich also nach oben. Ergebnis sind die bekannten Schrägen. Ich habe diese Idee dann als Plastilin-Modell gebaut. Riphahn hat auf dieser Basis sehr schnell entschieden, dass wir das so tatsächlich bauen.
Wie kam es zu den Balkonen in dieser Form?
In unserem Anforderungsbuch war klar festgehalten, dass die Werkstätten viel Licht, also viele Fensterflächen benötigen. Eine schräge Verglasung wäre extrem teuer gewesen und hätte die Räume im Sommer wahrscheinlich unerträglich heiß werden lassen. Die Lösung mit den Balkonen sparte Kosten und erhöhte den Komfort. Also auch hier ein sehr praktischer Entscheidungsgrund.
Ein Hauptkritikpunkt vieler Bürgerinnen und Bürger: Warum soviel Beton?
Beton war zur Bauzeit absolut State of the Art: Einerseits durch seine Reminiszenz an den Bauhaus-Stil in seiner Sachlichkeit. Und andererseits als Statement gegen die bombastischen Bauten aus der Nazi-Zeit. Die Türme sind damals lediglich angestrichen worden, weil man bautechnisch die Sichtbetonflächen nicht so perfekt produzieren konnten, wie es heute möglich ist.
Zum Zuschauerraum
Das neue „Große Haus“ sollte ein „Bürgertheater“ werden. Anders als in den höfischen Theatern aus dem 18. und 19. Jahrhundert sollten Sicht und Akustik auch auf den weniger teuren Plätzen bestmöglich sein. Außerdem brauchte der Raum aus akustischen Gründen eine gegliederte Rückwand. Inspiriert von der Royal Albert Hall sind wir dann auf die Lösung mit den Balkonen gekommen. Die war nicht nur aus statischen Gründen herausfordernd: Sie war auch wegen der Fluchtweg-Situation grenzwertig. Der damalige Branddirektor hatte das letzte Wort und gab uns mit dem Satz „Paragraphen sind für mich keine Argumente“ die Genehmigung.
Für die Innenausstattung, wie zum Beispiel die Paneele, haben wir uns von verschiedenen Firmen Musterbücher kommen lassen. Die Details hat Riphahn dann persönlich entschieden.
Einen Sonderfall stellen die beiden Leuchter im Foyer dar. Hier stammt der Grundentwurf von Menne. Riphahn ist mit ihm dann extra nach Venedig gereist, um mit den Glasbläsern dort vor Ort zu verhandeln.
Ich erinnere mich sehr klar, wie stolz Riphahn auf die Entwürfe für „sein“ Theater war.
Wilhelm Riphahn als Chef
Im Entwurfsteam konnten wir unter der lockeren Anleitung von Hans Menne, unsere Ideen relativ frei entwickeln Das war im Rückblick deshalb eine sehr prägende Zeit für mich. Zu Riphahn selbst war es allerdings schwer eine Beziehung aufzubauen.
Woran lag das?
Die Idee der Teamarbeit kam aus den USA und war etwas ganz Neues. Es gab nicht einmal ein deutsches Wort für diese Art der Zusammenarbeit. Allgemein herrschte hier in den 50er Jahren noch ein sehr hierarchisches Führungsverständnis. Andererseits war Riphahn auch als Person sehr unnahbar.
Wie äußerte sich das?
Er hat im ersten Jahr meiner Zeit in seinem Büro kein Wort über meine Arbeit verloren. Ich war verunsichert und frustriert, traute mich aber nicht, den Chef in Gegenwart der Kollegen offen zu fragen. Privataudienzen gab es für uns Anfänger nicht. Schließlich bat ich eine Freundin von Riphahn, die ich bei Marcks kennengelernt hatte, bei ihm nachzuhören. Wenig später wurde ich ins Allerheiligste gerufen: Ihm sei zu Ohren gekommen, dass ich mich über ihn beschwert hätte. Ob mir denn nicht klar sein, dass ich längst nicht mehr in seinem Büro arbeiten würde, wenn er mit meiner Arbeit unzufrieden wäre? Ende.
Das klingt sehr schroff...
War aber glaube ich gar nicht so gemeint. Er war einfach kein Mann vieler Worte, was für eine Führungskraft naturgegebenermaßen schwierig ist. Er konnte auch nur schwer über seine Bauten sprechen, was ihm auch bewusst war. Er hat einmal zu uns gesagt „Ich kann über meinen eigenen Kram nicht reden, seht ihn euch einfach an.
Sie haben das Büro 1956 noch vor der Eröffnung des Opernhauses verlassen warum?
Das hatte mehrere Gründe. Was das Opernhaus betrifft, so hatten wir gar nicht die Bauleitung, die hatte das Büro Heidrich & Arentz. Zugespitzt war für uns Architekten nach der Entwurfsplanung also der Spaß vorbei. Und ich hatte sechs Jahre bei Riphahn gedient, wie Laban im 1. Buch Moses. Zudem galt ich inzwischen im Büro als Theaterspezialist und ich wollte mich auf keinem Fall auf dieses Thema einengen lassen.. Mich hat damals das Thema Wohnungsbau sehr interessiert, so dass ich bei einem spannenden Angebot zu diesem Thema bei Riphahn gekündigt habe.
Wie war seine Reaktion?
Er hat es mir sehr übelgenommen, für ihn war es Undankbarkeit. Offensichtlich lag ihm bei aller Distanz doch viel an meiner Mitarbeit. Es gab dann eine lange Funkstille. Als wir uns dann wieder begegnet sind habe ich ihn gefragt, wie lange er denn durchschnittlich in einem Architektenbüro geblieben ist. Er war zunächst überrascht, hat dann nachgerechnet und kam schließlich lachend auf eine Dauer von knapp einem Jahr. Da sei ich mit meinen sechs Jahren ja eine richtig treue Seele (schmunzelt).