„Ihr müsst den Bauleuten jeden Tag auf den Füßen stehen - sonst werdet ihr nie fertig!“

Interview mit Karl Zieseniß

Herr Dr. Zieseniß, können Sie sich noch erinnern, wie Sie 1953 Bauherr des Riphahn-Baus wurden?
Zieseniß: Sicher! Intendant Maisch, Wilhelm Riphahn und ich wurden vom Stadtdirektor Max Adenauer, dem Neffen des Bundeskanzlers, zum Gespräch einbestellt. Er teilte uns mit, wieviel Geld wir für den Neubau bekommen, und dass wir im Mai 1957 fertig zu sein hätten. Und schon waren wir wieder draußen...

Und das hat dann funktioniert?
Zieseniß (schmunzelt): Ja und nein. Wir wussten, dass am 18. Mai 1957 unbedingt der Vorhang hochgehen musste. Das hat bekanntlich auch geklappt, nur waren wir beileibe nicht fertig. Für die Untermaschinerie war uns die Zeit und das Geld ausgegangen, auch die Seitenbühnen waren noch nicht fertig. Aber das hat keiner gesehen und im Vergleich zur Aula der Universität, wo die Oper nach dem Krieg zunächst gespielt hat, war es eine unglaubliche Verbesserung. Dafür mussten wir immer wieder improvisieren: So haben wir 1959 in der Sommerpause schnell den Orchestergraben vergrößert, damit der neue Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch wie gewünscht mit Strauss` „Elektra“ die Spielzeit eröffnen konnte. Der Graben war schlicht zu klein mit seinem gemauerten Souffleurkasten.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit dem Architekten Wilhelm Riphahn?
Zieseniß: Riphahn war ja nicht nur Architekt. Als Bauleiter war er auch jeden Tag auf der Baustelle. Ich habe ihn immer besucht und ihn an das Eröffnungsdatum erinnert: Natürlich hat er dann immer mal wieder gesagt, dass er das unmöglich schaffen kann. Was ihm die Baufirmen dann immer gerne bestätigt haben. Diese Firmen sind halt so, das darf man nicht so wichtig nehmen. Aber ihr müsst jetzt den Bauleuten jeden Tag auf den Füßen stehen, sonst werdet ihr tatsächlich nie fertig.

Das Schauspielhaus wurde im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf Riphahns wesentlich größer gebaut. Wie kam das?
Zieseniß: Wegen der Erkrankung des Intendanten Maisch suchten die Bühnen schon 1959 nach einem Nachfolger. Der Kulturdezernent Kurt Hackenberg wollte unbedingt den international bekannten Oskar Fritz Schuh als als neuen Intendanten. Schuh dachte grundsätzlich in weltumfassenden Maßstäben und machte den Bau eines großen Schauspielhauses zur Bedingung für seine Vertragsunterschrift.

Daraus entstanden sicherlich erhebliche Mehrkosten. Wie wurden die Mittel dazu durchgesetzt?
Zieseniß: Kurt Hackenberg war ein sperriger, aber auch ein sehr starker Kulturdezernent. Die Realisierung des Römisch-Germanischen Museums ist für mich nach wie vor ein absolutes Meisterstück. Auch in der Frage des Schauspielhauses ging er sehr geschickt vor: Noch vor Schuhs Vertragsantritt sammelte er mit ihm zwei Millionen Mark in der Bürgerschaft und bei anderen Förderern ein. Damit ging er in den Stadtrat und forderte die Rats-Politiker auf, diese Summe bis zur Höhe der geschätzten Baukosten aufzustocken. Anderenfalls müsse er die zwei Millionen zurückgeben, so dass sie für die Stadt verloren wären. Klar, dass er daraufhin die Mittel zum Bau des Schauspielhauses bekam. Ich bin immer ganz gut mit Hackenberg klar gekommen, was sicher auch daran lag, dass meine Position disziplinarisch dem Personaldezernenten zugeordnet war. Hackenberg konnte mich also zum Beispiel nicht versetzen...

Wie war denn Ihre Zusammenarbeit mit Schuh?
Zieseniß: Im Prinzip sehr gut. Er hat wesentlich daran mitgewirkt, dass Wolfgang Sawallisch 1959 Generalmusikdirektor wurde. Dadurch hatten wir einen direkten Kontakt nach Bayreuth und haben Sänger verpflichten können, die wir sonst wahrscheinlich nicht bekommen hätten. Wir haben ja damals unsere Sänger fast ohne Agenturen verpflichtet. Durch die Kontakte nach Bayreuth konnten wir auch Wieland Wagner gewinnen, dessen Ring-Inszenierung für mich der Aufbruch in eine neue Theaterwelt war.

Schuhs Idee mit dem Weltklasse-Theater ist also aufgegangen?
Zieseniß (schmunzelt): Am Ende nicht, weil Köln keine Weltstadt ist. Schuh hat das Ensemble stark verkleinert und viel mehr mit renommierten Gästen, gearbeitet. Er wollte halt die Besten für jede Rolle. Die Kölner wollten aber „ihre“ Schauspieler und „ihre Sänger“, also ein Ensemble. Die gab es aber unter Schuh nicht und darum wurde es am Ende schwierig. Für mich ist er trotzdem ein großer Intendant gewesen, von dem ich viel gelernt habe.

Was änderte sich denn für Sie mit der Eröffnung des Schauspielhauses 1962?
Zieseniß: Es war für beide Sparten ein Gewinn. Das Schauspiel hatte dadurch jeden Abend eine angemessen große Bühne, und die Oper konnte jeden Abend spielen und musste keine Abstecher mehr nach Leverkusen Düsseldorf, Viersen oder Duisburg machen, damit der Vorhang hochgeht.

Als Sohn eines Bankbeamten war Ihnen ja familiär der Weg in die Theaterwelt nicht unbedingt vorgezeichnet. Wie haben Sie sich zurechtgefunden?
Zieseniß: Herr Molitor, mein Vorgänger hat mich, obwohl ausgebildeter Jurist und promovierter Betriebswirt, ein Jahr lang in der Theaterverwaltung in die Lehre geschickt, bevor ich mein Amt als Verwaltungsdirektor antreten durfte. Am Ende sagte er: „Sehen Sie Herr Dr. Zieseniß, jetzt können Sie die Dinge im Notfall selber machen und niemand kann Ihnen erzählen, dass etwas nicht geht“. Ich bin ihm dafür sehr dankbar, weil ich dadurch natürlich alle Verwaltungsmitarbeiter schon sehr gut kannte, als ich anfing. So bin ich dann immer weiter mit dem Betrieb verwachsen.

Wie war dann die weitere Entwicklung?
Zieseniß: Ich hatte zunächst gegenüber den Künstlern die Haltung, dass sie tun können, was sie wollen, solange sie im Etat bleiben. Wir waren ja damals ein Regiebetrieb, was bedeutete, dass wir die Gelder, die wir in der Spielzeit nicht verbrauchten, in der nächsten Spielzeit abgezogen bekamen. Schwärzer als Null durften die Zahlen also nicht werden (lächelt). Im Laufe der Jahre bin ich aber immer näher an die Künstler herangerückt.

Hat sich ihr Aufgabenspektrum geändert?
Nicht direkt, aber ich wurde immer häufiger um Rat gefragt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich mit dem Leiter des Betriebsbüros einmal wegen eines Krankheitsfalls kurzfristig einen Schauspieler verpflichtet habe. Am Tag nach der Vorstellung rief uns der Schuh zu sich und sagte: „Das habt ihr wirklich gut gemacht, aber das nächste Mal möchte ich nicht davon aus der Zeitung erfahren.“. Auch der Intendant Assmann hat mich mal gebeten, mit einem Bühnenbildner zu verhandeln, mit dem er nicht klar kam. Entscheidend war glaube ich, dass meine Frau, die schon immer eine große Leidenschaft hatte, und ich quasi im Theater gelebt haben. Ich war immer von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr im Theater und bin dann um 17.00 Uhr wiedergekommen und habe bis spät gearbeitet. Meine Frau kam dann um 19.30 Uhr dazu und wir haben uns fast jeden Abend Teile der Vorstellungen von der Seiten-Loge aus angeschaut. Dadurch hatten wir das Glück und die Gelegenheit, viele große Künstler persönlich kennenzulernen. Ich bereue tatsächlich keinen Tag, an dem ich bei den Bühnen gearbeitet habe.

Fallen Ihnen da Beispiele ein?
Zieseniß: In der Eröffnungsspielzeit natürlich Maria Callas und Giuseppe di Stefano durch die Gastspiele der Mailänder Scala. Aber ich fand auch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Dirigenten sehr faszinierend. Wenn das Orchester bei Günter Wand einen Fehler machte, hat er sie so lange auf der Probe getriezt, bis sie es konnten. Istvan Kertesz dagegen sagte oft: „Meine Damen und Herren, morgen können Sie das!“ – und am nächsten Tag war das Problem tatsächlich behoben. Eigentlich ist es mir aber unmöglich Ihre Frage zu beantworten: Ich hatte eine schöne, wundervolle Zeit bei den Bühnen und es ist gar nicht möglich, alle Personen, denen ich deshalb zu Dank verpflichtet bin, hier aufzuzählen.

Sind Ihnen denn Produktionen besonders im Gedächtnis geblieben?
Zieseniß: Auch hier würde eine Aufzählung den Rahmen sprengen und Wieland Wagner habe ich bereits erwähnt. Mir fällt allerdings eine Produktion der „Fledermaus“ aus dem Jahr 1964 ein, bei der ich als Verwaltungsdirektor besondere Freude hatte: Der Intendant Assmann hatte unseren Zuschauerraum als Bühnenbild nachbauen lassen und wollte dem Publikum den Spiegel vorhalten, in dem er diesen Zuschauerraum mit Statisten besetzt. Da bin ich eingeschritten und habe durchgesetzt, dass auch die Plätze auf der Bühne in den Verkauf gehen -  natürlich zum vollen Preis und mit einer Flasche Sekt als Mindestverzehr. Die Nachfrage nach diesen Plätzen war riesig, Heinz Ehrhardt hat übrigens den Frosch gegeben. Ich freue mich auch schon sehr auf die neue Produktion der Fledermaus im Staatenhaus.

Gehen Sie denn noch regelmäßig ins Theater?
Sicher! Außer dass ich schlecht sehe, geht es mir ziemlich gut. Ich kann nur wegen meiner Augen über die Inszenierungen nicht mehr viel sagen. Ich habe hier zuhause aber eine Art Lesemaschine, so dass ich Bücher, Briefe oder die Zeitung immer noch lesen kann. Ich gehe auch noch gerne ins Restaurant und habe das Glück, dass mich meine Familie bei meiner Haushaltsführung und bei meiner Korrespondenz unterstützt. Ich habe das große Glück, auch mit 103 noch sehr unabhängig leben zu können. Ich bin zum Beispiel vor kurzem noch im Urlaub gewesen!

Herr Dr. Zieseniß, herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. Karl Zieseniß wurde 1914 in Köln geboren. Nach seinem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann und wurde nach erfolgreichem Abschluss als Angestellter von der Deutschen Bank übernommen. Hier wurde er später für sein Jura-Studium freigestellt.  Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Nach Verwundung in Russland wechselte er in eine Sanitätseinheit und gelangte zurück nach Köln. Hier heiratete er 1943. Nach Verlegung seines Lazaretts nach Arnsberg fungierte er als Dolmetscher für die Amerikanische Armee. Als Dolmetscher gelangte er nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft auch ins Wirtschaftsamt der Stadt Köln, wo er nach diversen Zwischenstationen, stellvertretender Leiter des Ernährungsamts und schließlich kaufmännischer Leiter des sich nach dem Krieg auf der Flucht befindlichen Deutschen Gesundheitsmuseums wurde. 1953 erfolgte die Versetzung zu den Bühnen, ab 1954 wurde er zum Verwaltungsdirektor für die Bühnen, die Puppenspiele und das Gürzenich-Orchester berufen. Dr. Zieseniß wurde in dieser Funktion 1979 pensioniert und war von 1980 bis 1995 Geschäftsführer und Dozent an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Köln.

Dr. Karl Zieseniß ist eines von vier Ehrenmitgliedern der Bühnen der Stadt Köln. Er wurde 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet

 

Das Interview führte Christopher Braun; Fotos: Jann Höfer